Philipp Guttmann, LL. B.

Definitionen: § 34 StGB

8 Definitionen und Erklärungen zum § 34 StGB
angemessen (Notstand)
Angemessenheit ist die Einschränkung des rechtfertigenden Notstands. Angemessen ist der Eingriff in fremde Rechtsgüter bei einem Notstand möglicherweise nicht beim Nötigungsnotstand, bei zwanghaften Blutspenden, bei symmetrischer Verteilung von Rettungschancen (Weichenstellerfall) oder bei asymmetrischer Verteilung von Rettungschancen (Flugzeugabschussfall / Bergsteigerfall). Ein nicht angemessener Notstand ist rechtswidrig.
Berg­steigerfall / asymmetrische Rettungs­chancen
Der Bergsteigerfall wird im Rahmen der Angemessenheit des rechtfertigenden Notstands diskutiert und beschreibt einen Fall asymmetrischer Rettungschancen, bei dem die Rettungschancen einseitig verteilt sind, weil der eine Gefährdete ohnehin später sterben würde, während nur der andere Gefährdete eine Chance zu überleben hat. Derjenige, der den Todgeweihten tötet, ist [1] nach § 34 StGB gerechtfertigt oder [2] aufgrund einer unzulässigen Quantifizierung von Menschenleben sowie einer Verdinglichung und Entrechtung von Menschen (Verletzung der Menschenwürde) nicht gerechtfertigt.
erforderlich
Erforderlich ist eine Handlung, wenn sie - in einer objektiven ex-ante-Betrachtung - geeignet ist und unter den zur Verfügung stehenden Mitteln das mildeste darstellt (relativ mildestes Mittel), um die Gefahr / den Angriff abzuwenden. Bei Notwehr: Das Maß der Erforderlichkeit wird durch die Intensität des Angriffs bestimmt. Geeignet ist die Verteidigungshandlung, wenn sie den Angriff in seiner konkreten Gestalt zumindest erschwert. Relativ mildestes Mittel ist dasjenige, welches unter gleich wirksamen Mittel den geringsten Schaden anrichtet. Bei rechtfertigenden Notstand: Ausweichen oder die Inanspruchnahme erreichbarer staatlicher Hilfe ist vorrangig. Es gilt den Eingriff in fremde Rechtsgüter so minimal wie möglich zu halten und vorrangig eigene Mittel zur Gefahrbeseitigung zu nutzen. Bei entschuldigenden Notstand: Die Notstandshandlung des § 35 StGB muss als ultima ratio den einzigen und letzten Ausweg aus der Notstandslage mit einer nicht ganz unwahrscheinlichen Rettungsmöglichkeit darstellen. Vorrangig ist die Inanspruchnahme der Hilfe Dritter. Jedenfalls, wenn der eigene sichere Tod droht, ist das Handeln des Täters erforderlich.
Gefahr
Gefahr für ein Rechtsgut besteht, wenn seine Verletzung durch Eintritt eines Schadens droht (Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts). Bei rechtfertigenden Notstand: Es wird eine ex-ante-Betrachtung mit Berücksichtigung des Sonderwissens des Notstandstäters vorgenommen. Umfasst sind auch Dauergefahren, die jederzeit in eine Rechtsgutsbeeinträchtigung umschlagen können. Die Gefahr kann auch von einem Menschen ausgehen. Bei entschuldigenden Notstand: Es ist auch der Nötigungsnotstand umfasst.
gegenwärtig
Gegenwärtig ist ein Angriff / eine Gefahr, der/die unmittelbar bevorsteht, gerade begonnen hat oder noch andauert (noch nicht beendet ist). Bei rechtfertigenden Notstand: Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn die Weiterentwicklung eines Zustands den Eintritt oder die Intensivierung eines Schadens ernstlich befürchten lässt. Dauergefahren sind gegenwärtig, wenn sie so dringend sind, dass sie nur durch unverzügliches Handeln wirksam abgewendet werden können. Bei entschuldigenden Notstand: Gegenwärtig ist die Gefahr, wenn der Eintritt der Schädigung sicher oder höchstwahrscheinlich ist, sollten nicht rechtzeitig Abwehrmaßnahmen ergriffen werden.
Nötigungs­notstand
Der Nötigungsnotstand wird im Rahmen der Angemessenheit in Konstellationen diskutiert, in denen der Täter zu einer Straftat gezwungen wurde. Dann ist [1] der Täter nicht durch den Notstand (§ 34 StGB) gerechtfertigt, sondern allenfalls nach § 35 StGB entschuldigt, [2] § 34 StGB auch bei einem Genötigten anwendbar und führt zu seiner Rechtfertigung oder [3] § 34 StGB nur anzuwenden, wenn im Vergleich zu dem angedrohten Übel von dem Genötigten nur eine geringfügige Rechtsgutsverletzung herbeizuführen ist.
recht­fertigender Notstand
Der rechtfertigende Notstand ist ein Rechtfertigungsgrund, der eine Notstandslage, eine Notstandshandlung sowie ein subjektives Rechtfertigungselement voraussetzt. Die Notstandslage liegt bei einer gegenwärtigen Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut des Täters (Notstand) oder eines Dritten (Notstandshilfe) vor. Die Notstandshandlung ist der erforderliche, verhältnismäßige und angemessene Eingriff in fremde Rechtsgüter. Verhältnismäßig ist der Eingriff, wenn das geschützte Rechtsgut dem beeinträchtigten wesentlich überwiegt. Zu berücksichtigen sind dabei: Wertigkeit der Rechtsgüter, Quantität der Verletzung, Grad der drohenden Gefahren, Art und Umfang der Gefahr Vgl. auch: Defensivnotstand, Aggressivnotstand
Weichen­stellerfall / symmetrische Rettungs­chancen
Der Weichenstellerfall wird im Rahmen der Angemessenheit des rechtfertigenden Notstands diskutiert und beschreibt einen Fall symmetrischer Rettungschancen, bei dem die Überlebenschancen von Personen reduziert werden, die bisher nicht gefährdet waren, um die bis dahin Gefährdeten zu retten. Dies ist [1] nicht angemessen und damit rechtswidrig oder [2] im Rahmen eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zu beurteilen.