Philipp Guttmann, LL. B.

StGB AT: Handlung, Kausalität und objektive Zurechnung

Dieses Repetitorium behandelt die Handlung, die Kausalität und die objektive Zurechnung im Strafrecht mit Erklärungen, Definitionen, Schemata und Streitständen.

Inhaltsübersicht und Vorbemerkung

Das Repetitorium zum StGB AT geht über den allgemeinen Teil des Strafgesetzbuches (StGB), Abschnitt 2, Die Tat (§§ 13 - 37 StGB):


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Handlung

Eine Handlung ist die vom Willen getragene Körperbewegung des Tatsubjektes (Täter) gegen ein Tatobjekt, wozu auch Affekthandlungen und durch ständige Wiederholung entstandene Automatismen gehören.[1] Keine Handlungen sind etwa Bewegungen im Zustand der Bewusstlosigkeit, im Schlaf, bei Krämpfen oder Reflexbewegungen.[2]

Kausalität

Grundsätze

Ursächlich ist jedes Handeln, das nicht hinweeggedacht (bei Unterlassen: hinzugedacht) werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. (conditio sine qua non) - Äquivalenztheorie[3]

  • Überholende Kausalität (abgebrochene Kausalität)[4]
    • Erklärung: Diejenige Handlung, die den Erfolg in seiner konkreten Gestalt herbeigeführt hat, ist ursächlich, während die anderen Handlungen ggf. wegen Versuchs strafbar sind.
    • Beispiel: A und B geben C Gift. Noch bevor das Gift bei C zu wirken beginnt, wird C durch D erschossen.
  • Mehrstufige Kausalität[5]
    • Erklärung: Hält eine ursprünglich gesetzte Bedingung bis zum Erfolg einer anderen Bedingung, die an die vorherige anknüpft und durch sie hervorgerufen wird, an, so sind beide Handlungen ursächlich.
    • Beispiel: A verabreicht B Gift. B, die wegen der Wirkung des Gifts bereits qualvoll im Sterben liegt, wird von C erschossen.
  • Alternative Kausalität (Mehrfachkausalität)[6]
    • Erklärung: Bei mehreren zeitlich miteinander zusammenfallenden Handlungen, die zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede ursächlich.
    • Beispiel: A und B geben C jeweils unabhängig voneinander eine tödliche Dosis Gift ins Getränk. C stirbt.
  • Kumulative Kausalität[7]
    • Erklärung: Bei mehreren zeitlich miteinander zusammenfallenden Handlungen, von denen keine hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, ist jede ursächlich.
    • Beispiel: A und B geben C jeweils unabhängig voneinander 10 mg Gift ins Getränk. Tödlich wirken 20 mg des Giftes. C stirbt.
  • Hypothetische Kausalität[5]
    • Erklärung: Reserveursachen (hypothetisch) werden bei der Feststellung der Kausalität nicht berücksichtigt. Die Bedingung, die real zum Erfolg führte, ist kausal. Hypothetische Kausalität umfasst auch die Beschleunigung vom Erfolgseintritt.
    • Beispiel: A erschießt B, der wenig später, wäre er nicht erschossen worden, mit einem Flugzeug abgestürzt und gestorben wäre.
  • Abbruch rettender Kausalverläufe[8]
    • Erklärung: Wird ein rettender Kausalverlauf, der den Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vereitelt hätte, durch den Täter abgebrochen, ist seine Handlung für den Erfolg ursächlich; der rettende Kausalverlauf wird hinzugedacht.
    • Beispiel: C soll bei B eine lebensrettende Operation durchführen. Zur Verhinderung dieser sperrt A den C ein. Daraufhin stirbt B. Hätte C die Operation durchgeführt, hätte B mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit überlebt.

Besonderheiten

  • omissio libera in causa: Setzt sich der Garant bei Unterlassungsdelikten selbst durch aktives Tun außerstande, seine Handlungspflicht zu erfüllen, so wird seine Handlungsunfähigkeit zum Zeitpunkt der gebotenen Handlung überwunden und der Erfolg beruht auf dem Unterlassen der gebotenen Handlung.[9]

Objektive Zurechnung

Der Erfolg ist nur dann objektiv zurechenbar, wenn der Täter eine rechtlich missbilligte Gefahr des Erfolgseintritts geschaffen und sich diese auch tatsächlich im konkreten erfolgsverursachenden Geschehen realisiert hat.[10]

Keine Schaffung eines Risikos[11]

  • Erlaubtes Risiko
    • Erklärung: Verhaltensweisen, welche den von der Gesellschaft vorgegebenen Toleranzbereich des Risikos nicht überschreiten (sozialadäquat), sind nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A und B zeugen C, der im Erwachsenenalter einen Mord begeht.
  • Mangelnde Beherrschbarkeit (fehlende Gefahrschaffung)
    • Erklärung: Geschehensabläufe, die nicht mehr im beherrschbaren Machtbereich des Normadressaten liegen, sind nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A schickt B in den Park. B hofft, dass A dort vom Blitz getroffen wird, was auch wirklich passiert.
  • Risikoverringerung
    • Erklärung: Verhaltensweisen, durch welche eine drohende Verletzung von Rechtsgütern, ausgehend von einer nicht vom Normadressat geschaffenen Gefahr, vermindert wird, sind, sofern sich die Verhaltensfolgen ausschließlich auf dasselbe Opfer beziehen, nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A sieht B auf dem Gleis liegen, während ein Zug angefahren kommt. A zieht B weg, schafft es jedoch nicht, seinen Körper vollständig vom Gleis zu entfernen – ein Arm wird stark verletzt.

Keine Realisierung des Risikos[11]

  • Atypische Kausalverläufe
    • Erklärung: Geschehensabläufe, die nach allgemeiner Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwarten sind (Werk des Zufalls), sind atypisch und somit nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A sticht B ein Messer in den Bauch. B wird ins Krankenhaus gefahren, wo Sanitäter C plötzlich einen Herzinfarkt bekommt, die Trage mit B fallen lässt und dieser die Treppe herunterstürzt und stirbt.
  • Schutzzweck der Norm
    • Erklärung: Pflichtwidrige Verhaltensweisen, die gegen eine Norm verstoßen, welche jedoch andere tatbestandsmäßige Erfolge verhindern will als die konkret entstandenen, sind nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A und B fahren ohne Licht nachts auf der Landstraße mit dem Fahrrad. C, der weder A noch B sieht, erfasst A mit seinem Auto, worauf dieser stirbt. Die Beleuchtungspflicht dient nicht dazu, dass ein anderer (A) angestrahlt werden soll, weshalb die Strafbarkeit des B entfällt.
  • Pflicht­widrig­keits­zusammenhang
    • Erklärung: Pflichtwidrige Verhaltensweisen, die zu einem tatbestandlichen Erfolg führen, der auch durch pflichtgemäßes Verhalten eingetreten wäre, sind nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A fährt nachts betrunken mit überhöhter Geschwindigkeit Auto und überfährt den plötzlich auf der Straße laufenden, betrunkenen B, der daraufhin stirbt.
  • Freiverantwortliche Selbstgefährdung oder -schädigung des Opfers
    • Erklärung: Verhaltensweisen, die nur zusammen mit einer freiverantwortlichen Selbstschädigung oder Selbstgefährdung eines Opfers den tatbestandlichen Erfolg realisieren, sind nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A verkauft B regelmäßig Drogen. B, der eine Überdosis von diesen einnimmt, stirbt.
  • Eigenverantwortliches Dazwischentreten eines Dritten
    • Erklärung: Verhaltensweisen, deren Erfolgseintritt erst durch das eigenverantwortliche Handeln eines Dritten, welches an das vorher geschaffene, rechtlich relevante Risiko anknüpft, realisiert wird, sind nicht objektiv zurechenbar.
    • Beispiel: A schlägt B auf der Straße, worauf B verletzt dort liegen bleibt. C, der B hasst, nutzt die Gelegenheit und tötet den geschwächten B.

Einzelnachweise

  1. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 16 ff.
  2. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 17
  3. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 24
  4. vgl. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 30
  5. vgl. Heinrich, Bernd: Strafrecht - Allgemeiner Teil, 3. Auflage, 2012, S. 87-91
  6. vgl. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 31 f.
  7. vgl. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 33
  8. vgl. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 35
  9. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, § 13, Rn. 94
  10. Joecks, Wolfgang: Studienkommentar StGB, 11. Auflage, 2014, Vor § 13, Rn. 38
  11. vgl. Heinrich, Bernd: Strafrecht - Allgemeiner Teil, 3. Auflage, 2012, S. 95-104