Philipp Guttmann, LL. B.

Artikel 17: Rechts­un­sicher­heit und Einschränkung der Meinungs­freiheit

Artikel 17 der neuen Urheberrechts­richtlinie wird für viel Rechts­unsicherheit sorgen und die Meinungs­freiheit einschränken. Auch stellt sich für viele kleine Platt­formen nun die Existenz­frage.

Nachdem das Europäische Parlament der Urheberrechtsrichtlinie mit deutlicher Mehrheit zugestimmt hat, muss sie in nationales Recht umgesetzt werden. Spielräume bei der Umsetzung der Richtlinie sind dabei gering. Im Vorfeld der Abstimmung war vor allem Artikel 17 (ehem. Artikel 13) kontrovers diskutiert worden. Offensichtlich wurden auch die juristischen Bedenken gegen Artikel 17 nicht ernst genug genommen. Im Folgenden soll gezeigt werden, was Artikel 17 für die Zukunft bedeutet, weshalb er kritisiert wird und welche Plattformen er betrifft.

Betroffene Plattformen

Artikel 2 Nr. 6 der Richtlinie legt fest, was Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten sind:

„Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten“ bezeichnet den Anbieter eines Dienstes der Informationsgesellschaft, bei dem der Hauptzweck bzw. einer der Hauptzwecke darin besteht, eine große Menge an von seinen Nutzern hochgeladenen, urheberrechtlich geschützten Werken oder sonstigen Schutzgegenständen zu speichern und der Öffentlichkeit Zugang hierzu zu verschaffen, wobei dieser Anbieter diese Inhalte organisiert und zum Zwecke der Gewinnerzielung bewirbt.[1]

Das bedeutet, die Plattformen müssen folgende Kriterien erfüllen:

  • Hauptzweck: von Nutzern hochgeladene urheberrechtlich geschützte Werke speichern, öffentlich zugänglich machen und organisieren
  • Gewinnerzielung

Ausnahmen gibt es nach Artikel 2 Nr. 6 für folgende Plattformen:

Anbieter von Diensten, etwa nicht gewinnorientierte Online-Enzyklopädien, nicht gewinnorientierte bildungsbezogene und wissenschaftliche Repositorien, Entwicklungs- und Weitergabeplattformen für quelloffene Software, Anbieter elektronischer Kommunikationsdienste im Sinne der Richtlinie (EU) 2018/1972, Online-Marktplätze, zwischen Unternehmen erbrachte Cloud-Dienste sowie Cloud-Dienste, die ihren Nutzern das Hochladen von Inhalten für den Eigengebrauch ermöglichen, sind keine Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten im Sinne dieser Richtlinie.[1]

Kommerzielle Seiten: Werbung als Gewinnerzielung

Dem Wortlaut von Artikel 2 Nr. 6 der Richtlinie nach betrifft sie demnach alle Seiten, die Nutzern das Hochladen von urheberrechtlich geschützten Werken ermöglichen und zudem eine Gewinnerzielung bezwecken. Darunter kann bereits das Schalten von Werbung verstanden werden, wenn mit dieser über die Finanzierung des reinen Betriebs der Seite hinaus Gewinn erwirtschaftet wird. Zu den urheberrechtlich geschützten Werken können dabei alle Arten von Werken zählen. So sind davon insbesondere Texte, Bilder, Musik und Videos umfasst.

Foren, Blogs und Nutzerkommentare

Schaltet ein Forum beispielsweise Werbung, könnte es bereits vom Wortlaut des Artikel 2 Nr. 6 der Richtlinie erfasst sein. Stellen Nutzer des Forums Texte und Bilder auf die Plattform, erwirtschaftet das Forum eben mit diesen Inhalten Gewinn. Gleiches würde für Blogs gelten, die Werbung beinhalten und es Besuchern ermöglichen, Kommentare zu hinterlassen. In diesen Kommentaren könnten Texte hochgeladen werden, die möglicherweise urheberrechtlich geschützt sind. Auch Seiten mit Werbung, auf denen Rezepte mit Text und Bildern oder Videos hochladen werden, könnten von Artikel 2 Nr. 6 erfasst sein.

Keine Einschränkung nach Höhe des Umsatzes

Artikel 2 Nr. 6 der Richtlinie ist also so offen formuliert, dass er grundsätzlich eine große Bandbreite an Plattformen erfassen kann. Eine Einschränkung danach, wie groß der Umsatz ist, findet nicht statt. Dies führt zu einer großen Rechtsunsicherheit. Vor allem kleine Plattformen stellen sich die Frage, ob sie ein Diensteanbieter im Sinne von Artikel 2 Nr. 6 sind.

Fraglich ist, inwiefern Gerichte den Hauptzweck von Plattformen ermitteln werden und welche Rolle Werbung spielen wird. Ob die nationale Umsetzung der Richtlinie mehr Klarheit schafft, ist mehr als fraglich.

Anforderungen von Artikel 17 an die Plattformen

Einholung der Erlaubnis der Rechteinhaber | Absatz 1

Artikel 17 der Richtlinie fordert in Absatz 1 von den Diensteanbietern für das Teilen von Online-Inhalten, dass diese von den Rechteinhabern die Erlaubnis zur Nutzung von deren urheberrechtlich geschützten Werken einholen. Fraglich ist, wer die Rechteinhaber sind, von denen die betroffenen Plattformen die Erlaubnis einholen sollen.

Ein Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten muss deshalb die Erlaubnis von den in Artikel 3 Absatz 1 und 2 der Richtlinie 2001/29/EG genannten Rechteinhabern einholen, etwa durch den Abschluss einer Lizenzvereinbarung, damit er Werke oder sonstige Schutzgegenstände öffentlich wiedergeben oder öffentlich zugänglich machen darf[1]

Plattformen, die das Einstellen von Texten, Bildern und Videos erlauben, wie etwa Webseiten mit Rezepten, müssten demnach von allen Urhebern die Erlaubnis einholen, welche Texte, Bilder und Videos erstellen. Da heute jeder mit einem Smartphone Fotos machen kann, müsste eine Plattform demnach mit einer unüberschaubaren Anzahl von Menschen der Welt die Erlaubnis einholen, möglicherweise eines ihrer urheberrechtlich geschützten Werke auf der Plattform öffentlich zugänglich machen zu dürfen. Das ist faktisch unmöglich. Wie die Umsetzung von Artikel 17 Abs. 1 der Richtlinie praktisch aussehen soll, bleibt völlig unklar. Auch ob es ausreicht, lediglich mit Verwertungsgesellschaften Lizenzvereinbarungen zu schließen, bleibt offen.[2]

Verantwortlichkeit für hochgeladene Inhalte, Uploadfilter | Absatz 4

Artikel 17 Absatz 4 der Richtlinie macht Plattformen für die hochgeladenen Inhalte ihrer Nutzer verantwortlich, wenn diese keine Erlaubnis des Urhebers hatten:

Wird die Erlaubnis nicht erteilt, so ist der Diensteanbieter für das Teilen von Online-Inhalten für nicht erlaubte Handlungen der öffentlichen Wiedergabe, einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung, urheberrechtlich geschützter Werke oder sonstiger Schutzgegenstände verantwortlich[1]

Praktisch wird es häufig auf Absatz 4 des Artikels 17 hinauslaufen, da Plattformen regelmäßig kaum den Anforderungen aus Absatz 1 genügen können. Entweder, weil sie schlicht nicht alle Urheber um Erlaubnis bitten konnten, oder, weil sie nicht die Erlaubnis erhalten haben. Die Haftung nach Absatz 4 wird nur unter bestimmten Voraussetzungen eingeschränkt:

  • a) alle Anstrengungen unternehmen, die Erlaubnis nach Absatz 1 einzuholen, und
  • b) alle Anstrengungen unternehmen, dass die urheberrechtlich geschützten Werke nicht auf der Plattform verfügbar sind, und
  • c) gemeldete geschützte Werke unverzüglich entfernen und alle Anstrengungen unternehmen, erneutes Hochladen zu unterbinden

Alle Voraussetzungen müssen zusammen, kumulativ, vorliegen. Inwiefern eine Plattform nachweisen kann, alle Anstrengungen unternommen zu haben, die Erlaubnis von allen möglichen Urhebern einzuholen, bleibt ein Rätsel. Deshalb ist auch Artikel 17 Absatz 4 lit. a mit großer Rechtsunsicherheit verbunden.

Ohne das Wort zu gebrauchen, setzen Artikel 17 Absatz 4 lit. b und lit. c die Einrichtung von Uploadfiltern voraus. Anders ist es nicht möglich, zu verhindern, dass urheberrechtlich geschützte Werke nicht (wieder) auf der Plattform verfügbar werden. Diese Uploadfilter müssen mit den Werken, die nach Artikel 17 Absatz 4 lit. c gemeldet wurden, sowie mit denen, welche der Urheber der Plattform nach Artikel 17 lit. b als seine Werke mitgeteilt hat, bestückt werden.

Verifizierung des Urhebers

Wie eine Plattform herausfinden soll, ob die gemeldeten oder übermittelten Werke tatsächlich dem Urheber gehören, insbesondere bei Fotos, wo sich Unterschiede meist im Detail verstecken, bleibt unklar. Der Speicherplatz, den selbst kleine Plattformen mit dem Anlegen dieser Uploadfilter, insbesondere bei Bildern und Videos, benötigen, könnte schnell deren technische Möglichkeiten übersteigen. Dann bliebe diesen Plattformen nur die Option, auf einen Drittanbieter für Uploadfilter zurückzugreifen.

Datenschutz­rechtliche Fragen bei Drittanbietern

Drittanbieter für Uploadfilter wiederum würden datenschutzrechtliche Fragen aufwerfen: Wie erfolgt die Einwilligung zur Übertragung und Abgleich des gesendeten Inhalts an den Drittanbieter? Was passiert mit den Daten beim Drittanbieter? Wie kann Missbrauch mit den übermittelten Daten verhindert werden? Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz weist insofern treffend darauf hin:

Letztendlich entstünde so ein Oligopol weniger Anbieter von Filtertechniken, über die dann mehr oder weniger der gesamte Internetverkehr relevanter Plattformen und Dienste läuft. Welche weitreichenden Informationen diese dann dabei über alle Nutzerinnen und Nutzer erhalten, verdeutlicht unter anderem die aktuelle Berichterstattung zur Datenübermittlung von Gesundheitsapps an Facebook.[3]

Technische Schwierigkeiten und Live-Streams

Hinzu kommen auch technische Schwierigkeiten: Wie soll die Überprüfung von Text, Bildern, Musik und Videos bei - oder besser gesagt: vor - jedem Upload aller Nutzer technisch umsetzbar sein? Der Abgleich mit Millionen von Werken wird sicher nicht Sekunden dauern, sondern weitaus länger. Und wie ein Uploadfilter bei Live-Streams funktionieren soll, bleibt auch unklar. Vielleicht wird man eine Verzögerung der Übertragung einrichten müssen, damit der Uploadfilter genug Zeit hat, den Stream auf urheberrechtlich geschützte Werke zu untersuchen. Live wäre der Stream dann aber nicht mehr.

Zulässige und unzulässige Nutzung, Meinungsfreiheit | Absatz 7

Darüber hinaus ist es Uploadfiltern nicht möglich, zwischen zulässiger und unzulässiger Nutzung von urheberrechtlich geschützten Inhalten zu unterscheiden. Zwar fordert Artikel 17 Absatz 7, dass die Mitgliedsstaaten Ausnahmen für Zitate, Kritik und Rezensionen sowie Karikaturen, Satire und Pastiches sicherstellen. Praktisch läuft Absatz 7 jedoch ins Leere, wenn Uploadfilter gefordert werden, diese aber eben nicht befähigt sind, diese Unterscheidungen zu treffen.

Im Übrigen könnten auch Mitarbeiter einer Plattform diese Unterscheidung nicht unmittelbar und rechtssicher treffen, da solche urheberrechtlichen Fragen regelmäßig selbst Fachleute intensiv beschäftigen und eine ausführliche Abwägung und Informationslage erfordern. Im Zweifel würde der Uploadfilter eher eine zulässige Nutzung blockieren und der Uploader müsste sich nach Artikel 17 Absatz 9 einem Beschwerdeverfahren unterziehen, damit sein Upload doch öffentlich zugänglich gemacht werden kann. Das schränkt die Meinungsfreiheit ein. Absatz 4 und Absatz 7 stehen somit im offenen Widerspruch. Wie dieser gelöst werden kann, ist unklar.

Ausnahme von Uploadfiltern | Absatz 6

Die in Artikel 17 Absatz 6 vorgesehene Ausnahme von Artikel 17 Absatz 4 lit. b, c - also der Einrichtung von Uploadfiltern - beschränkt sich auf Plattformen, die folgende Voraussetzungen kumulativ erfüllen:

  • jünger als 3 Jahre, und
  • Umsatz nicht größer als 10 Mio Euro, und
  • nicht mehr als 5 Mio Nutzer

Das bedeutet, dass Plattformen, die älter als 3 Jahre sind und einen völlig unbedeutenden Umsatz machen, trotzdem den kompletten Anforderungen des Artikel 17 Absatz 4 inklusive Uploadfiltern unterliegen. Damit ist Artikel 17 Absatz 6 kein Schutz für kleine Plattformen.

Verbot von allgemeiner Überwachung | Absatz 8

Ein weiterer offener Widerspruch im Rahmen des Artikel 17 findet sich in Absatz 8, der eine Pflicht zur allgemeinen Überwachung verbietet. Ein Uploadfilter, wie ihn Artikel 17 Absatz 4 lit. b, c fordert, ist aber genau eine solche Pflicht zur allgemeinen Überwachung aller hochgeladenen Inhalte. Wie soll nun also die Umsetzung von Artikel 17 aussehen? Einen halben Uploadfilter gibt es nicht. Auch kann ein Uploadfilter nicht erst anspringen, wenn er urheberrechtlich geschützte Werke vermutet. Das würde ja voraussetzen, dass der Upload bereits geprüft wird. Absatz 8 soll wohl einen zu schweren Eingriff durch Absatz 4 verhindern. Doch wo es kein milderes Mittel gibt, kann auch die Schwere des Eingriffs nicht verringert werden, um die Zwecke des Absatzes 4 zu erreichen.

Verhältnismäßigkeit | Absatz 5

Wenn es nur die Wahl zwischen einer Überprüfung aller hochgeladenen Inhalte durch einen Uploadfilter oder eben keiner Überprüfung gibt, dann ist zur Erreichung des Absatzes 4 außer des Einsatzes eines Uploadfilters kein milderes Mittel verfügbar, um den Zweck zu erreichen. Deshalb läuft auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Artikel 17 Absatz 5 wohl weitgehend für Absatz 4 lit. b, c ins Leere. Denn man kann auch nicht eine fiktive Grenze festlegen, ab der eine Plattform keine weiteren von Urhebern eingereichten Werke für den Uploadfilter mehr annimmt.

Bei gut gemeinter Auslegung könnte man aus Absatz 5 vermuten, dass kleine Plattformen keine Uploadfilter einrichten müssen. Dann würde jedoch jedenfalls Artikel 17 Absatz 4 lit. b faktisch durch Absatz 5 vollständig beschränkt. Dagegen spricht jedoch, dass in Absatz 6 explizit Ausnahmen von den Anforderungen aus Absatz 4 gemacht wurden, kleine Plattformen jedoch nicht von den Verpflichtungen ausgenommen sind.

Wie Verhältnismäßigkeit ohne milderes Mittel aussehen soll, bleibt fraglich. Eine Alternative zu Uploadfiltern, ohne Artikel 17 Absatz 4 lit. b vollständig für unanwendbar zu erklären, gibt es nicht.

Fazit: Unklare praktische Umsetzung und viel Rechts­unsicherheit

Artikel 17 der Urheberrechtsrichtlinie wirft viele Fragen auf. Neben technischen Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten weist Artikel 17 einige erhebliche rechtliche Widersprüche auf. Dadurch wird er unklar und erzeugt eine große Rechtsunsicherheit. Vor allem kleine Plattformen werden sich angesichts dieser unklaren Rechtslage, die sich durch eine nationale Umsetzung kaum verbessern wird, wohl nicht dem Risiko teurer Abmahnungen aussetzen, sondern ihren Betrieb lieber einstellen. Für sie geht es um ihre Existenz, wie auch der Protest der Foren gegen Uploadfilter zeigt.[4]

Obwohl die Richtlinie eigentlich große kommerzielle Plattformen treffen soll(te), erzeugt sie vor allem große Unsicherheit für kleine Plattformen. Wie Artikel 17, insbesondere Absatz 4, rechtlich verhältnismäßig umgesetzt werden soll, ist mehr als fraglich.

Mit der Verabschiedung der Richtlinie in seiner jetzigen Form mit Artikel 17 wurde in Kauf genommen, kleine Plattformen in Existenznot zu bringen und die Meinungsfreiheit durch Uploadfilter, die keine juristisch korrekten Entscheidungen treffen können und fehleranfällig sind, insbesondere bei Zitaten und Satire einzuschränken.

Einzelnachweise

  1. www.europarl.europa.eu: http://www.europarl.europa.eu/doceo/document/A-8-2018-0245-AM-271-271_DE.pdf
  2. www.wbs-law.de: https://www.wbs-law.de/wp-content/uploads/2019/03/Analyse-Artikel-13-Version-1.2-WILDE-BEUGER-SOLMECKE-Rechtsanwälte.pdf
  3. www.bfdi.bund.de: https://www.bfdi.bund.de/DE/Infothek/Pressemitteilungen/2019/10_Uploadfilter.html
  4. foren-gegen-uploadfilter.eu: https://foren-gegen-uploadfilter.eu/